Und der Schlund der Großstadt verschlingt uns.
Gut, das war eine übertriebene Formulierung. In Wirklichkeit war es ganz unspektakulär, wie wir zu zweit vom Hauptbahnhof die wenigen Stufen in Richtung Oberfläche erklommen. Weil wir ja eigentlich nur vor dem Rauchverbot flüchteten.
Und so sind wir ganz unspektakulär mitten drin und rauchen nach langer Zugfahrt erstmal. Ganz leicht, eigentlich.
Als Dorfkind habe ich trotz selbst attestierter Lebenserfahrung ein ganz kleines bisschen Unsicherheit und Verwirrung meinerseits erwartet, aber die Besuche der letzten Jahre, das Überleben überall machen eine Maske der Souveränität unnötig, da von innen bereits vorhanden.
Der Bahnhof selbst schläft nie, er schlummert nur. Ich weiß noch, wie ich direkt neben einem Fahrkartenautomaten saß, auf einem Stapel Zeitungen, wie ich mit dem 21 abgestürzten Alkoholiker geredet habe. Wie die Bullen uns dumm angemacht haben, kein ausgeschriebener Sitzplatz usw. Später saßen wir Vertriebenen dann auf der Treppe und ich bin kurz eingeschlafen, den
Kopf auf den Knien.
Neben dem Automaten ist heute, nach 2 Jahren, ein Saftstand. Und der Bahnhof lebt. Ich sehe auf die Stelle von vor zwei Jahren. Damals schlief der Bahnhof wie gesagt nicht, er schlummerte. Kaum vorstellbar, wie wenig Menschen sich nachts dort befinden. Aber irgendjemand ist dort immer…
„Ich denk mir immer: wie viel Leute setzen sich gerade einen Schuß?“. Ganz kurz philosophiere ich laut über die regionalen Unterschiede, Berlin, ein krasseres Pflaster, traditionsbewusstes Bayern, Seniorenanteil der Bevölkerung blabla. Aber da ist die Müncherbekanntschaft von vor zwei Jahren, da ist das Gefühl von Verlorenheit in einer Großstadt, da sind die dunklen Gassen und Winkel, da sind die Vorstädte. Alles die typischen dunklen Flecken in unserem Wissen um die Welt. Wir sehen, was wir sehen wollen. Und wir sehen keine Drogenabhängigen, weil wir sie nicht sehen wollen. Weil wir ja eigentlich nur shoppen wollen. Oder wahlweise in den Biergarten gehen wollen.
Tunnelblick heißt es also. Die Bettler sehen wir gar nicht mehr, sie sind subtile Gängigkeit geworden. Der Mann, der auf dem Platz schreit, Dinge über Gott sagt, Leute ansprechen will wird erst zum Amusement und dann ignoriert. Das Dorfkind in mir ist dennoch fasziniert, vor allem von den Menschen.
Fremde Sprachen klingen im Ohr, ich bahne meinen Weg durch die Massen, ernte Blicke und suche den Augenkontakt. Mir fehlen die richtigen Punks, allgemein die Extrema. Es geht nur um oberflächliche Individualität, die aber trotzdem schön sein soll. In den Läden finde ich keine Größe 40, 42 etc. Da ist dieser Zwang einer Großstadt , wie mir scheint, der Zwang, gesehen zu werden. Gleichzeitig auch die Angst, eben nicht gesehen zu werden. Dennoch scheut man den Augenkontakt. Es geht nur um die Fassade, nicht um Zwischenmenschlichkeit. Sie stylen sich auf, kapseln sich aber ab, werden unantastbar durch ihre Handys am Ohr und ihre Sonnenbrille vor den Augen..
Da ist dieses Phänomen Großstadt.
http://www.youtube.com/watch?v=oVgjC5Gw8y0
cleeo - 28. Okt, 19:38